Wer nichts macht macht den größten Fehler

Die jüngste Zinsentscheidung der EZB hat der Onlinechefredakteuer vom

Handelsblatt, Oliver Stock, kommentiert.

 

Da er mir zu 100% aus der Seele spricht, möchte ich Ihnen seinen Kommentar nicht vorenthalten.

 

Ich höre sie schon rufen, die Untergangspropheten: Die EZB schafft den Zins ab. Sie entzieht dem Kapitalismus sein Geschäftsmodell. Unsere Sparguthaben werden entwertet. Die Altersvorsorge schmilzt dahin wie Käse im Ofen.
Das billige Geld – es treibt die Spekulation, sei es an den Aktienmärkten, beim Immobilienkauf oder dort, wo die richtig dicken Jungs unterwegs sind: in Hedgefonds und Schattenbanken.

 

Die Katastrophe – sie wird kommen, wenn nicht heute, so doch morgen.

 

Liebe Schwarzseher: Nichts dergleichen wird passieren.

 

Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, die Zinsen noch ein Mal zu senken und Banken eine Strafe dafür abzuverlangen, wenn sie ihr Geld bei ihr parken, ist mutig, weil sie eindeutig ist.

 

Sie ist konsequent, weil sie die bisherige Politik der Zentralbank fortsetzt und nicht die Entscheidungen der Währungshüter in den USA und anderswo konterkariert.

 

Und die Entscheidung trägt die Möglichkeit in sich, dass Europa jetzt schneller auf einen grünen Zweig kommt, als wenn Mario Draghi keinen Finger krumm gemacht hätte.

 

Zinsen sind angesichts einer Geldpolitik, die seit Jahren im Krisenmodus steckt, ein Luxusartikel, der sich rar gemacht hat.

 

Und wie das immer ist mit Luxus: Wir stellen fest, es geht auch ohne. Und wir merken: Der Luxus, in dem wir gelebt haben, hat uns die Sinne vernebelt.

 

Wir haben doch glatt über Jahrzehnte geglaubt, dass es einen risikolosen Zins gibt. Sozusagen ein Obulus, der uns zusteht, wenn wir unser Geld auf die Bank tragen.

Jetzt stellen wir fest, dass sich Geld nur dann vermehrt, wenn andere damit etwas unternehmen. Das kann gut laufen oder schlecht. Der Zins drückt die Höhe des Risikos aus, das wir bereit sind, mit unserer Geldanlage einzugehen.

 

Wer kein Risiko eingeht, wird sein Geld nicht vermehren.

 

Nicht der kluge Anleger ist der Dumme, sondern der gedankenlose Sparer, lautet die Botschaft der EZB. Sie verlangt von uns, Verantwortung zu übernehmen für unser Vermögen, genauso wie wir Verantwortung tragen für unsere Gesundheit oder dafür, wie wir Auto fahren. Ich finde das richtig.

 

Die Erkenntnis, dass sich pures Sparen kaum noch lohnt, ist für uns Deutsche schmerzhaft, weil wir lieber auf Nummer sicher gehen. Unser Glaube lautet: Investiere besser nicht in Unternehmen, denn die könnten ja pleitegehen. Deutschland gehört weltweit zum Schlusslicht der Industrieländer, wenn es um die Bilanz geht, wieviel Menschen eines Landes Aktien halten.

 

Andere Nationen sind da anders. Und das hilft ihnen, denn Länder mit einer hohen Aktienkapitalisierung weisen regelmäßig höhere Wachstums- und Beschäftigungsraten auf. Wenn die EZB die Deutschen hier in eine andere Richtung lenkt, tut sie ein gutes Werk. Sie kann außerdem gar nicht anders: Bei einer Inflationsrate auf Tiefststand, die so gar nicht dem Ziel der EZB entspricht, muss sie Geld billiger machen.

 

Umgekehrt würde auch niemand an ihrer Weisheit zweifeln, wenn sie bei einer hohen Inflationsrate die Zinsen anzieht. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass neuerdings auch der notorisch kritische deutsche Zentralbanker Jens Weidmann Draghis Kurs stützt.

 

Es gibt noch eine zweite Wunde, in der der Italiener an der Spitze der EZB gnadenlos herumstichelt: Die Banken haben vergessen, dass ihre wichtigste Funktion darin besteht, die Wirtschaft mit Geld zu versorgen. Vor lauter Eigenhandel und Stresstest-Stress, vor lauter Misstrauen untereinander und bangem Warten auf den nächsten Regulierungsschritt haben zumindest in den Euro-Krisenländern die Geldinstitute diese Aufgabe vernachlässigt.

 

Ginge es nach Ihnen, bekäme höchstens Dagobert Duck noch einen Kredit. Die Zentralbank kann das nicht hinnehmen. Draghi packt deswegen die Instrumente aus, die dieses Übel bekämpfen: Strafzinsen fürs unproduktive Geldparken, Belohnungen fürs Kreditvergeben.

 

Klar: Das kann alles auch schiefgehen. Die Zinssenkung kann verpuffen wie ein Knallfrosch zu Silvester. Und sicher: Die Menschen, die erst ihre Rente zerbröselt sahen, bangen nun auch um die Früchte ihrer privaten Altersvorsorge.

 

Nur ist das nicht die Schuld der EZB, sondern wir verdanken es den Ländern, die jahrelang über ihre Verhältnisse lebten und sich nun durch Sparen allein nicht mehr sanieren können. Draghi stellt sich diesem Problem. Er weiß: Nur wer nichts macht, macht den größten Fehler.

Gut zu Wissen 06/2014
Infobrief_201406.pdf
Adobe Acrobat Dokument 568.7 KB

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Thomas (Samstag, 30 Mai 2015 20:07)

    Der Artikel ist zwar schon etwas älter, dennoch immer noch sehr informativ und regt hoffentlich den ein oder anderen zum Nachdenken an.

Zum App Store